Begegnung mit Bayer by Thomas Reinert
Autor:Thomas Reinert
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurt Allgemeine Buch
veröffentlicht: 2015-09-24T00:00:00+00:00
Nachhaltigkeit: Vom Trotzkopf zum Musterknaben
Freiwillige Verbesserungen und notwendige Korrekturen
Wo gehobelt wird, da fallen Späne
Chemie ist die Wissenschaft von der Umwandlung der Stoffe. Aus einer Handvoll Schlüsselbausteinen auf der Basis von Erdöl, aus den vielfältigen Salzen der anorganischen Chemie, aus Säuren, Laugen und Lösungsmitteln entstehen in den Kesseln und Kolonnen der Betriebe zunächst verfeinerte Rohstoffe, dann komplexere Zwischenprodukte und schließlich die Endprodukte, die die Fabriken in Kesselwagen, Fässern oder Säcken verlassen. Die Inhalte sind dem Normalverbraucher in der Regel völlig fremd, dem Kunden in der weiterverarbeitenden Industrie aber Grundlage für die Produktion.
Wo von Kalium und Kalzium, Cadmium und Chlor die Rede ist, denkt der Laie oft an Pech und Schwefel: Zu irgendetwas muss es wohl gut sein, aber in den falschen Händen ist Ärger vorprogrammiert. Solange in der Chemie alles unauffällig seinen geordneten Weg geht, gibt es wichtigere Dinge, um die es sich in Gesellschaft und Politik zu kümmern gilt. Aber wenn in dieser Branche etwas aus den geordneten Bahnen bricht, kann das ernste Folgen haben. Kein Wunder also, dass der normale Mensch unter solchen Umständen auf Kontrolle setzt statt auf Vertrauen. Angesichts von materiellem Wohlstand und reichhaltigem Konsumangebot werden Nutzen und Risiko mit Vorsicht bewertet.
Selbstreinigungskraft der Natur ist begrenzt
Die Schornsteine müssen rauchen, sagt ein altes Sprichwort, und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Auch in der Chemie bleiben Reste, die beim besten Willen nicht weiterzuverarbeiten oder anderweitig zu verwenden sind. Heute werden sie fachgerecht entsorgt, also verbrannt oder deponiert. In der noch jungen chemischen Industrie des ausgehenden 19. Jahrhunderts aber galt die Hauptaufmerksamkeit – wie in jeder Küche oder Werkstatt – dem Produkt. Dieses sollte besser und schöner werden. Abfall, Abwasser und Abluft waren unvermeidliche Übel, die über hohe Schornsteine, lange Rohre und in tiefen Gruben der Selbstreinigungskraft der Natur überlassen wurden. So war es gängiger Brauch zumindest bis zum Anbruch des 20. Jahrhunderts, als mit rapider Industrialisierung die Belastungen von Luft und Wasser unangenehm wurden. Auf gut Deutsch: Es stank, und die Fischer an den großen Flüssen klagten über schmutziges Wasser und rückläufige Fangquoten. Kein Zweifel, die Selbstreinigungskraft der Natur stieß an Grenzen, und die Geduld der Bürger auch.
Auch die Geschichte des Umweltschutzes bei Bayer ist eine Geschichte konträrer Bewertungen und veränderlicher Prioritäten. Wo die einen wirtschaftliche Erfordernisse sehen, stellen die anderen die althergebrachte Definition von Fortschritt und Wohlstand in Frage. Was die einen als quantifizierbares und letztlich unvermeidliches Restrisiko ansehen, fürchten die anderen als Bedrohung der eigenen Sicherheit, verbunden mit unkalkulierbaren Schäden. Lange bevor das Wort Umweltschutz überhaupt existierte, lagen die Ansichten über die Vertretbarkeit von Nebenwirkungen und Restrisiken zwischen Chemieunternehmen hier und Gesellschaft dort weit auseinander.
Daran sollte sich in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts nichts Entscheidendes ändern. Schließlich galt es in der Industrie, gute Produkte in ausreichender Menge herzustellen, bessere Produkte zu erfinden und im internationalen Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Natürlich hielt man sich bei Bayer an die Gesetze. Aber die Verringerung von Abwasserfrachten, die Reduzierung von Schadstoffen in der Abluft und ein mittelfristig angelegtes Abfallmanagement waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch bei Bayer eher lästige Pflicht.
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